Studie zur Arbeitszeit von Lehrkräften in Berlin: Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse

Eine aktuelle Studie der Universität Göttingen zu den Arbeitszeiten von Lehrern hat der Diskussion um die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte neuen Schwung verliehen.
Unterricht mit Schülern in der Klasse

© David Fuentes / Adobe Stock

Studie zur Arbeitszeit von Lehrkräften in Berlin: Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse

Eine aktuelle Studie der Universität Göttingen zu den Arbeitszeiten von Lehrern hat der Diskussion um die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte neuen Schwung verliehen.

Die Debatte um die Einführung der Arbeitszeiterfassung für Lehrer dauert an. Während von Arbeitnehmerseite und Gewerkschaften angesichts steigender Arbeitszeiten und Zusatzaufgaben immer wieder entsprechende Forderungen laut werden, zeigen sich die meisten Bundesländer noch mehr als zurückhaltend.

In Berlin leistet die Mehrheit der Lehrkräfte unbezahlte Überstunden. Das ergab eine Studie, die von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen durchgeführt wurde. Die Studie für das Schuljahr 2023/2024 hatte das Ziel, die tatsächliche Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern genau zu erfassen und zu analysieren, wie sich neue Herausforderungen wie die Digitalisierung, die wachsende Vielfalt in den Klassen und der anhaltende Personalmangel auf ihren Berufsalltag auswirken.

Berlin mit bundesweitem Höchstwert: mehr als 50 Stunden Arbeit pro Woche

Die wichtigsten Erkenntnisse sind dabei eindeutig: Berliner Lehrkräfte arbeiten deutlich länger als offiziell vorgesehen. Im Durchschnitt fallen pro Schulwoche 50 Stunden und 21 Minuten an. Das übertrifft die vertraglich festgelegte Soll-Arbeitszeit von 47 Stunden und 15 Minuten um mehr als drei Stunden. Selbst unter Berücksichtigung statistischer Einflussfaktoren bleibt eine Mehrarbeit von etwa 2 Stunden und 30 Minuten bestehen. Zwei Drittel aller Berliner Lehrkräfte (64 Prozent) leisten regelmäßig Überstunden. Damit nimmt Berlin im bundesweiten Vergleich eine Spitzenposition bei der Mehrarbeit von Lehrkräften ein. Rund 30 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer in Vollzeit arbeiten sogar konstant über 48 Stunden pro Woche, ein Niveau, das laut den Autoren der Studie mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist.

Die Studienergebnisse legen zudem nahe, dass das derzeitige hohe Arbeitszeitniveau über dem vor der Corona-Pandemie liegt. Die chronische Überlastung führt dazu, dass vielen Lehrkräften kaum Zeit für Erholung und Freizeit bleibt, weil sie ihre Arbeit häufig auch abends und an Wochenenden fortsetzen.

Unterricht nimmt weniger als ein Drittel der Arbeitszeit ein

Zu beobachten ist laut der Studie eine grundlegende Verschiebung der Aufgabenbereiche von Lehrkräften. Der Anteil des eigentlichen Unterrichts an der gesamten Arbeitszeit ist seit den 1960er Jahren kontinuierlich zurückgegangen und macht in Berlin heute nur noch 31 Prozent aus. Im Gegensatz dazu sind die sogenannten außerunterrichtlichen Tätigkeiten auf 37 Prozent der Arbeitszeit angewachsen. Zu diesen Aufgaben zählen unter anderem die Kommunikation mit Eltern und Kollegen, organisatorische Tätigkeiten, die Betreuung von Fahrten oder auch Verwaltungsaufgaben. Insbesondere neue und zusätzliche Aufgaben, die sich aus aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ergeben, fordern viel Zeit. Sie beanspruchen Schätzungen zufolge etwa 10 Stunden und 40 Minuten pro Woche. Dazu gehören die Nutzung und Pflege von Berliner Lernplattformen (etwa 2 Stunden 16 Minuten pro Woche), die Gestaltung von digitalem Unterricht (rund 2 Stunden 11 Minuten pro Woche) sowie Aufgaben im Zusammenhang mit Inklusion und der Arbeit in multiprofessionellen Teams (circa 1 Stunde 30 Minuten pro Woche).

Lehrkräfte, die über ihre Soll-Arbeitszeit hinaus arbeiten, investieren signifikant mehr Zeit in diese neuen Anforderungen. Auffällig ist, dass der Wegfall pandemiebedingter Aufgaben nicht zu einer spürbaren Entlastung geführt hat.

Gymnasiallehrer mit zwei Sprachfächern arbeiten besonders lange – bei Leitungsaufgaben noch mehr

Die Arbeitsbelastung variiert jedoch auch innerhalb der Lehrerschaft. Lehrkräfte an Gymnasien weisen mit durchschnittlich 51 Stunden und 50 Minuten pro Woche die höchste Arbeitszeit auf. Lehrkräfte, die zwei Sprachfächer unterrichten, arbeiten mit 52 Stunden und 57 Minuten am längsten, was vor allem am hohen Korrekturaufwand liegt. Wer zudem Leitungsaufgaben übernimmt, arbeitet mit 53 Stunden und 10 Minuten pro Woche im Mittel noch länger was auf Personalengpässe in diesen Bereichen hindeuten kann. Bemerkenswert ist, dass Teilzeitkräfte, gemessen an einer Vollzeitstelle, einen überproportionalen Anteil ihrer Arbeitszeit mit Mehrarbeit verbringen. Viele von ihnen haben sich für Teilzeit entschieden, um die hohe Arbeitsbelastung überhaupt bewältigen und ihren eigenen Qualitätsansprüchen an guten Unterricht gerecht werden zu können. Eine mögliche Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten würde die Situation daher eher verschärfen.

Zunehmende Gratifikationskrise

Die anhaltende Mehrarbeit und die damit verbundenen Herausforderungen haben ernste Folgen für die Lehrkräfte: Jeder dritte Lehrer in Berlin (30 Prozent) befindet sich in einer sogenannten „Gratifikationskrise“. Dieser Begriff beschreibt ein Ungleichgewicht, bei dem die erbrachte Anstrengung im Beruf (z. B. hoher Zeitdruck, große Verantwortung) nicht ausreichend durch entsprechende Belohnungen (z. B. Wertschätzung, Gehalt, Aufstiegsmöglichkeiten) ausgeglichen wird.

Fast ein Viertel der Lehrkräfte (24 Prozent) zeigt Anzeichen einer depressiven Gefährdung. Der Mangel an Zeit für die Unterrichtsvorbereitung wird von 79 Prozent der Lehrkräfte als belastend empfunden, und die Sorge vor Qualitätseinbußen bei ihrer Arbeit ist weit verbreitet (63 Prozent). Hinzu kommt der sogenannte digitale Stress, der oft durch Mängel bei der Umsetzung der Digitalisierung und mangelnde Unterstützung verursacht wird und die Belastungen zusätzlich verstärkt.

78 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich durch digitale Medien und Techniken auch in ihrer Freizeit ständig mit der Arbeit verbunden. Diese anhaltende Belastung beeinträchtigt die Attraktivität des Lehrerberufs erheblich und verschärft die Probleme bei der Personalgewinnung.

Arbeitszeiterfassung und Abgabe von nicht pädagogischen Aufgaben können helfen

Eine Möglichkeit, die Situation zu verbessern, besteht in der Abgabe nicht-pädagogischer Aufgaben an andere Berufsgruppen wie beispielsweise an Schul- oder Verwaltungsassistenzen. Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte erwartet, dass der konsequente Einsatz von Schulassistenzkräften über eine Stunde Arbeitszeit pro Woche einsparen könnte.

Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Einführung einer pragmatisch vereinfachten Arbeitszeitdokumentation bzw. Arbeitszeiterfassung. 77 Prozent der Lehrkräfte wünschen sich eine solche Dokumentation, um Transparenz über ihre tatsächlichen Arbeitszeiten zu schaffen und gezielte Entlastungsmaßnahmen zu ermöglichen.

Gefordert wird außerdem eine grundlegende Reform des derzeitigen Deputatssystems, weil es die Komplexität des Lehrerberufs nicht mehr angemessen abbildet und zu der festgestellten chronischen Mehrarbeit beiträgt.

Auch wenn verschiedene Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt werden, sind nach den Ergebnissen der Studie zusätzliche Ressourcen unerlässlich, um den Lehrerberuf wieder attraktiver zu gestalten und die Qualität der Bildung langfristig zu sichern.

Zur Methodik der Studie

Die Untersuchung zur Arbeitszeit und Arbeitsbelastung Berliner Lehrkräfte knüpft an frühere Studien zur Arbeitszeit und Digitalisierung im Schulsystem an und integriert deren methodische Fortschritte. Für die Datenerhebung wurde ein mehrstufiges Design gewählt, das sowohl eine detaillierte Zeiterfassung als auch begleitende Online-Befragungen umfasste.

Der Kern der Untersuchung war die minutengenaue Erfassung der Arbeitszeiten der Lehrkräfte über ein gesamtes Schuljahr (2023/2024). Die Lehrkräfte ordneten ihre Tätigkeiten dabei einem detaillierten Modell von Kategorien zu, das an die spezifischen Berliner Gegebenheiten und Schulformen angepasst war. Das Modell umfasst acht unveränderliche Hauptkategorien und 18 schulformspezifische Tätigkeitskategorien. Den Teilnehmern wurden zur Erleichterung exemplarische Tätigkeitsbeschreibungen und Funktionen wie Start-Stopp-Buttons, die automatische Übernahme von Anschlusszeiten oder das vorherige Eintragen von Unterrichtszeiten angeboten. Jede Woche musste von den Lehrkräften als vollständig und korrekt bestätigt werden, um in die Auswertung einzugehen.

Ergänzend zur Zeiterfassung wurden Online-Befragungen durchgeführt, die sich mit verschiedenen Aspekten der Arbeitsbelastung, der Nutzung digitaler Medien und der individuellen Berufssituation befassten.

Zusammenfassung

Die viel zitierte Studie der Universität Göttingen zur Arbeitszeit von Lehrern in Berlin zeigt, welche Aufgaben die meiste Zeit in Anspruch nehmen und wie lang die durchschnittlichen Arbeitszeiten sind.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.