Gutachten stellt kirchliche Sonderstellung im Arbeitsrecht in Frage

Bisher genoss die Kirche besondere Privilegien im Arbeitsrecht. Sie konnte sogar in das Privatleben der Mitarbeiter eingreifen oder ihnen aufgrund der privaten Lebensführung kündigen. Damit könnte bald Schluss sein.
Kirchliches Arbeitsrecht

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Gutachten stellt kirchliche Sonderstellung im Arbeitsrecht in Frage

Bisher genoss die Kirche besondere Privilegien im Arbeitsrecht. Sie konnte sogar in das Privatleben der Mitarbeiter eingreifen oder ihnen aufgrund der privaten Lebensführung kündigen. Damit könnte bald Schluss sein. Ein aktuelles Gutachten zeigt, dass die bisherige Rechtsprechung nicht mehr haltbar sein könnte.

Arbeitnehmer, die bei der Kirche oder einer Organisation in kirchlicher Trägerschaft angestellt sind, unterliegen einem speziellen Arbeitsrecht, das ihnen mitunter weniger Rechte einräumt als Arbeitnehmern, die in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst tätig sind. Dabei gelten Einschränkungen, die im staatlichen Arbeitsrecht nicht vorstellbar wären. So ist zum Beispiel die Kündigung des Jobs aufgrund einer gleichgeschlechtlichen Beziehung möglich.  Davon waren in der Vergangenheit zahlreiche Mitarbeiter betroffen.

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Kirchliche Privilegien im Arbeitsrecht nur für ‚verkündigungsnahe Tätigkeiten‘ zulässig

Ein aktuelles Rechtsgutachten des früheren Hamburger Arbeitsrichters Peter Stein kommt jedoch zum dem Ergebnis, dass die der Kirche eingeräumten Privilegien im Arbeitsrecht nur in sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen zulässig sind. Es geht dabei um sogenannte „verkündigungsnahe“ Tätigkeiten, wie sie zum Beispiel von Pfarrern oder Religionslehrern ausgeübt werden und die ein Eintreten für die kirchlichen Werte und Grundsätze erfordern.

Alle anderen Tätigkeiten wie zum Beispiel in kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen wie der Caritas oder der Diakonie müssten dagegen dem normalen Arbeitsrecht unterliegen. Wenn es zum Beispiel um Sportlehrer oder Ärzte an konfessionellen Schulen gehe, sei das legitime Interesse der Kirchen durch „loyales und aufrichtiges Verhalten“ gewahrt. Dazu genüge die Rücksichtnahme auf die Werte des Arbeitgebers. Eine Übernahme dieser Werte durch den Mitarbeiter sei dagegen nicht nötig. Zudem sei eine Ungleichbehandlung, wenn überhaupt, nur aufgrund der Religion oder der Weltanschauung möglich. Keinesfalls dürfe dagegen die sexuelle Orientierung eine Rolle spielen. Die Beweislast für eine Gefährdung von Ethos und Recht auf Autonomie liege laut Gutachten vor Gericht bei den Kirchen.

EuGH hatte mehrfach die kirchlichen Privilegien als zu weitgehend bezeichnet

Stein beruft sich in seinem Gutachten, das vom Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, auf mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wie zum Beispiel auf das Urteil vom 17. April 2018. Eine Mitarbeiterin hatte zuvor gegen das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. auf Entschädigung für eine Benachteiligung aus Gründen der Religion geklagt.

Deutsche Arbeitsgerichte haben bisher das Verhalten der Kirche meist akzeptiert

War es in der Vergangenheit meist so, dass die deutschen Arbeitsgerichte das Verhalten der Kirche mit Verweis auf deren Selbstbestimmungsrecht akzeptierten, dürften die Grenzen tatsächlich weitaus enger gesteckt sein. Das kirchliche Nebenarbeitsrecht, das in die private Lebensführung der Mitarbeiter eingreift und das zu einer Ungleichbehandlung der Mitarbeiter führen kann, sei nach den EuGH-Urteilen allenfalls für verkündigungsnahe Tätigkeiten darstellbar, wie es im Gutachten heißt.

Hat das Bundesverfassungsgericht der Kirche zu weit gehende Rechte eingeräumt?

Bisher bezogen sich die deutschen Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht auf die Stellung der Kirchen im Staat, wie sie im Grundgesetz geregelt ist. Diese Regelung wurde aus der Weimarer Reichverfassung übernommen. Das dort genannte „Recht der Glaubensgemeinschaften auf Selbstverwaltung innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechts“ sollte laut Steins Gutachten klarstellen, dass für die Kirchen die gleichen Rechte für alle gelten.

Das Bundesverfassungsgericht habe aber den Artikel im Grundgesetz zu einer Schutznorm der Kirchen gegen den Staat umgedeutet und das kirchliche Selbstverwaltungsrecht zu einem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ausgeweitet. Das habe sich insbesondere auf das Arbeitsrecht ausgewirkt.

Im Gutachten heißt es weiter, die Richter des Bundesverfassungsgerichts hätten die christliche Wertemoral in exzessiver Weise gegenüber dem staatlichen Arbeitsrecht privilegiert – zum Nachteil der Grundrechte der Arbeitnehmer.

Auswirkungen auf die Gesetzgebung

In der politischen Debatte dürfte das Gutachten für Bewegung sorgen. Die amtierende Regierungskoalition hatte sich darauf geeinigt, gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen, inwieweit das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Dies betrifft immerhin rund 1,8 Millionen Beschäftige, die für die Kirche und ihre Organisationen tätig sind.

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte im November 2022 eine Neuordnung des kirchlichen Arbeitsrechts vorgelegt, das für katholische Einrichtungen gelten soll. Die sexuelle Orientierung und die gewählte Lebensform sollen demnach kein Einstellungshindernis und kein Kündigungsgrund mehr sein. Allerdings gilt das nicht für den Austritt aus der katholischen Kirche. Dieser kann weiterhin zu einer Kündigung führen.

Dies wird von der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes, Ferda Ataman, kritisiert. Ihrer Meinung nach enthält auch die neue von der Kirche vorgelegte Grundordnung noch zu viele Ausnahmen. Möglich sei es zum Beispiel nach wie vor, dass eine Krankenpflegerin, die in einem kirchlichen Krankenhaus arbeite, ihren Job verlieren könne, wenn sie aus persönlichen Gründen aus der Kirche austrete. Dies wertet Ataman als Eingriff in die Rechte der Beschäftigten und als Einfallstor für Diskriminierungen.

Sowohl Ataman als auch Stein sprechen sich dafür aus, die sogenannte Kirchenklausel und die dort beschriebenen Ausnahmerechte im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in ihrer Wirkung auf Tätigkeiten im Verkündigungsbereich zu beschränken. Zudem schlägt Stein vor, den Gültigkeitsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes auch auf kirchliche Einrichtungen auszuweiten. Bisher gilt dieses Gesetz hier nicht.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.