Nachhaltigkeit in der Lieferkette: Ein praktischer Leitfaden zu ESRS und EU-Omnibus für KMU

Auch wenn KMU die gesetzlichen Schwellenwerte für eine direkte Berichtspflicht nach ESRS und EU Omnibus nicht überschreiten, sind sie möglicherweise von diesen neuen Regelungen betroffen.
ESRS

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TL;DR: Das Wichtigste in Kürze

  • Auch wenn Ihr Unternehmen nicht direkt nach ESRS oder EU-Omnibus berichtspflichtig ist, werden Sie über Ihre Lieferkette mit den neuen EU-Nachhaltigkeitsregeln konfrontiert.
  • Große Kunden müssen Daten zu sozialen Themen wie faire Löhne und Arbeitsbedingungen von ihren Zulieferern einholen.
  • Die EU-Omnibus-Richtlinie lockert die Regeln, aber der grundlegende Druck zur Datenerhebung in der Lieferkette bleibt bestehen.
  • Beginnen Sie mit einfachen, pragmatischen Schritten wie der Dokumentation von Arbeitszeiten und Mitarbeitergesprächen, um vorbereitet zu sein.
  • Proaktive Vorbereitung ist kein bürokratischer Aufwand, sondern sichert Ihre Wettbewerbsfähigkeit und Kundenbeziehungen für die Zukunft.

Einleitung: Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr – Was jetzt auf KMU zukommt

Die Zeiten, in denen Nachhaltigkeit ein optionales Thema für die Imagebroschüren von Großkonzernen war, sind endgültig vorbei. Die Europäische Union gestaltet die Spielregeln der Wirtschaft grundlegend um. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den dazugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) schafft sie einen verbindlichen Rahmen, der Transparenz und Vergleichbarkeit im Nachhaltigkeitsbereich erzwingt. Das übergeordnete Ziel ist es, Kapitalströme gezielt in nachhaltige Unternehmen zu lenken und so den „European Green Deal“ zu verwirklichen. Dieser Wandel ist keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern eine grundlegende Veränderung der Art und Weise, wie unternehmerischer Erfolg bewertet wird. Nachhaltigkeitsberichte werden auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung gehoben, inklusive der Pflicht zur externen Prüfung.

Die wichtigste Botschaft für Sie als kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) lautet: Auch wenn Sie die gesetzlichen Schwellenwerte für eine direkte Berichtspflicht nicht überschreiten, sind Sie möglicherweise von diesen neuen Regelungen betroffen. Der Grund dafür ist der sogenannte „Trickle-Down-Effekt“. Große, berichtspflichtige Unternehmen sind verpflichtet, über die Nachhaltigkeitsaspekte ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu berichten. Das schließt explizit ihre Lieferanten und Dienstleister mit ein. Folglich werden Ihre Kunden, sofern es sich um größere Unternehmen handelt, detaillierte Nachhaltigkeitsdaten von Ihnen anfordern. Wer auf diese Anfragen nicht vorbereitet ist, riskiert einen spürbaren Wettbewerbsnachteil und im schlimmsten Fall den Verlust von Aufträgen.

Dieser Beitrag legt einen besonderen Fokus auf die soziale Komponente der Nachhaltigkeit – das „S“ in ESG (Environmental, Social, Governance). Themen wie gerechte Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen, Vielfalt und die Achtung von Arbeitnehmerrechten rücken in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Für jedes KMU sind die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Menschen in der Lieferkette das wertvollste Kapital. Genau hier setzen die neuen Regelungen an und verlangen Transparenz. Die Daten, die Ihre Kunden von Ihnen anfordern, sind nicht mehr für eine optionale Marketing-Broschüre bestimmt, sondern für einen rechtlich verbindlichen, geprüften Lagebericht. Die Qualität und Verlässlichkeit der von Ihnen gelieferten Informationen werden daher einer genauen Prüfung unterzogen.

Hintergrund: ESRS und die EU Omnibus-Richtlinie

Um die neuen Anforderungen zu verstehen, ist es wichtig, die zentralen Begriffe und deren Zusammenspiel zu kennen. Die regulatorische Landschaft mag auf den ersten Blick komplex erscheinen, lässt sich aber auf einige Kernpunkte herunterbrechen.

Was sind die ESRS? Das neue Regelwerk einfach erklärt

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ist die übergeordnete EU-Richtlinie, welche die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung vorschreibt. Sie ersetzt die bisherige, weniger weitreichende Non-Financial Reporting Directive (NFRD).

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind die konkreten Spielregeln, die detailliert festlegen, was und wie Unternehmen berichten müssen. Sie wurden von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), einer beratenden Expertengruppe der EU, entwickelt. Die ESRS sind modular aufgebaut und gliedern sich in drei Hauptkategorien:

  1. Übergreifende Standards: ESRS 1 (Allgemeine Anforderungen) und ESRS 2 (Allgemeine Angaben) legen die grundlegenden Prinzipien wie die doppelte Wesentlichkeit und die allgemeinen Berichtsanforderungen fest.
  2. Thematische Standards: Diese decken die drei ESG-Säulen ab: Umwelt (ESRS E1-E5), Soziales (ESRS S1-S4) und Unternehmensführung (ESRS G1).
  3. Sektorspezifische Standards: Diese werden zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt und enthalten spezifische Anforderungen für bestimmte Branchen.

Die EU Omnibus-Richtlinie: Eine notwendige Kurskorrektur

Die EU-Kommission hat erkannt, dass die ursprünglichen Pläne der CSRD und ESRS für viele Unternehmen, insbesondere für den Mittelstand, eine erhebliche bürokratische Belastung dargestellt hätten. Wirtschaftsverbände wie der DIHK und ZDH warnten vor einer Überforderung der Betriebe. Als Reaktion darauf wurde ein Vorschlag für eine sogenannte EU-Omnibus-Richtlinie vorgelegt. Ihr erklärtes Ziel ist es, den administrativen Aufwand zu reduzieren und die Regeln praxistauglicher zu gestalten.

Die wichtigsten Änderungen umfassen:

  • Anhebung der Schwellenwerte: Die Kriterien für die direkte Berichtspflicht sollen deutlich angehoben werden (z.B. auf über 1.000 Mitarbeitende), wodurch weniger Unternehmen direkt betroffen wären.
  • Verschiebung von Fristen: Die Einführung der Berichtspflicht für spätere Gruppen von Unternehmen wird um zwei Jahre nach hinten verschoben.
  • Vereinfachung der ESRS: Die Anzahl der geforderten Datenpunkte in den Standards soll reduziert werden.

Diese Richtlinie ist jedoch keine Kehrtwende in der Politik, sondern eine politische Kurskorrektur. Das Kernziel der Transparenz entlang der Wertschöpfungskette bleibt bestehen. Statt viele KMU direkt zur Berichterstattung zu zwingen, stärkt die EU nun den indirekten Mechanismus über die Lieferkette.

Zeitplan & Geltungsbereich: Wer muss wann berichten (und was bedeutet das für Sie)?

Die Einführung der Berichtspflicht erfolgt gestaffelt. Während die Omnibus-Richtlinie die genauen Zeitpläne und Schwellenwerte noch anpasst, gilt grundsätzlich:

  • Direkt betroffen: Große Unternehmen von öffentlichem Interesse (die bereits unter die NFRD fielen) müssen bereits seit dem Geschäftsjahr 2024 berichten. Weitere große Unternehmen folgen in den nächsten Jahren, wobei die Fristen durch die Omnibus-Richtlinie verschoben wurden.
  • Indirekt betroffen (KMU): Der Druck auf KMU in der Lieferkette entsteht, sobald ihre großen Kunden berichtspflichtig werden. Dies ist für die erste Welle bereits der Fall.

Um den Aufwand für KMU zu steuern, entwickelt die EU spezielle, vereinfachte Berichtsstandards:

  • ESRS LSME (Listed SME Standard): Ein verpflichtender, aber proportionaler und vereinfachter Standard für kleine und mittlere Unternehmen, die an der Börse notiert sind.
  • ESRS VSME (Voluntary SME Standard): Ein freiwilliger Berichtsstandard für alle anderen, nicht-börsennotierten KMU. Er ist als einfache, pragmatische Vorlage konzipiert und soll als eine Art gemeinsame Sprache für Nachhaltigkeitsdaten zwischen Großunternehmen und ihren KMU-Zulieferern dienen. Es wird erwartet, dass die Datenanfragen großer Unternehmen sich an diesem VSME-Standard orientieren werden, um den Aufwand für alle Beteiligten zu reduzieren („Value-Chain-Cap“).3

Für KMU verschiebt sich damit der strategische Fokus. Die Frage ist nicht mehr primär „Bin ich direkt berichtspflichtig?“, sondern „Wie kann ich den VSME-Standard effizient nutzen, um die Anforderungen meiner Kunden zu erfüllen und mein Geschäft zu sichern?“.

Die soziale Komponente der ESRS – Was ist gefordert?

Ein zentraler Pfeiler der ESRS ist die soziale Dimension. Anders als bei den Umweltstandards, die nach Themen wie Klima oder Wasser gegliedert sind, orientieren sich die sozialen Standards (S-Standards) an den betroffenen Personengruppen (Stakeholdern). Dieser Ansatz macht die Anforderungen greifbarer und praxisnäher.

Übersicht der sozialen Themen

Die vier zentralen sozialen Standards decken folgende Gruppen ab:

  • ESRS S1: Eigene Belegschaft: Betrifft alle Aspekte, die Ihre direkt angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen.
  • ESRS S2: Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette: Bezieht sich auf die Mitarbeitenden Ihrer Lieferanten, Subunternehmer und anderer Geschäftspartner.
  • ESRS S3: Betroffene Gemeinschaften: Umfasst die Auswirkungen Ihres Unternehmens auf das lokale Umfeld, wie Anwohner oder lokale Gemeinden.
  • ESRS S4: Verbraucher und Endnutzer: Thematisiert die Sicherheit Ihrer Produkte und die transparente Information Ihrer Kunden.

Für KMU sind insbesondere die Standards S1 und S2 von unmittelbarer Relevanz, weil sie die Kernbereiche Personal und Lieferkette abdecken.

Konkrete Anforderungen aus ESRS S1 – Eigene Belegschaft

ESRS S1 verlangt detaillierte Angaben zu den Arbeitsbedingungen und Rechten der eigenen Mitarbeitenden. Auch wenn Sie als KMU nicht direkt nach diesem Standard berichten müssen, geben die Anforderungen einen klaren Hinweis darauf, welche Informationen Ihre Kunden von Ihnen erwarten könnten. Die Hauptthemen sind:

  • Arbeitsbedingungen: Hierzu gehören Angaben zu sicherer Beschäftigung (z.B. Vertragsarten), angemessenen Arbeitszeiten, der Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie vor allem zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Das umfasst beispielsweise Statistiken zu Arbeitsunfällen und etablierte Sicherheitsmaßnahmen.
  • Gerechte Bezahlung & Lohntransparenz (Angabepflicht S1-10): Unternehmen müssen darlegen, ob sie eine angemessene Entlohnung bezahlen. Als Referenz können gesetzliche Mindestlöhne, Tarifverträge oder branchenübliche Benchmarks dienen. Ebenfalls zentral ist das Thema Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern („Gender Pay Gap“).
  • Gleichbehandlung und Diversität (Angabepflicht S1-9): Gefragt sind hier Kennzahlen zur Geschlechterverteilung auf verschiedenen Hierarchieebenen sowie Informationen über Maßnahmen gegen Diskriminierung und zur Förderung von Inklusion, beispielsweise von Menschen mit Behinderungen.
  • Arbeitnehmerrechte: Hier geht es um den sozialen Dialog im Unternehmen. Es muss berichtet werden, inwieweit Tarifverträge Anwendung finden, ob es Betriebsräte gibt und wie die Rechte der Arbeitnehmer auf Information und Mitbestimmung gewährleistet werden.

Konkrete Anforderungen aus ESRS S2 – Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette

Dieser Standard überträgt die Logik von S1 auf die gesamte Lieferkette. Große Unternehmen müssen nun Risiken und tatsächliche Auswirkungen identifizieren, die ihre Geschäftstätigkeit auf die Mitarbeiter ihrer Partner hat. Für KMU als Zulieferer bedeutet das, dass sie mit Anfragen zu genau diesen Themen rechnen müssen.

  • Das Prinzip: Die Themen sind nahezu identisch mit denen aus ESRS S1: Arbeitsbedingungen, Gleichbehandlung, Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit, Vereinigungsfreiheit und Arbeitssicherheit bei den Lieferanten. Ein Automobilhersteller muss beispielsweise nicht nur die Sicherheit in seinen eigenen Werken gewährleisten, sondern auch darlegen, wie er sicherstellt, dass bei seinen Zulieferern faire und sichere Arbeitsbedingungen herrschen.
  • Der Unterschied zu S1: Die größte Herausforderung bei ESRS S2 ist die Datenbeschaffung. Während ein Unternehmen für S1 auf interne HR-Daten zugreifen kann, ist es für S2 auf die Informationen seiner Lieferanten angewiesen. Aus diesem Grund sind die Anforderungen in S2 oft qualitativ und beschreibend („narrativ“) formuliert. Es geht weniger um exakte Kennzahlen als um die Beschreibung von Prozessen und Richtlinien, z.B. wie Lieferanten ausgewählt und bewertet werden.

Die Anforderungen für die eigene Belegschaft (ESRS S1) dienen somit als eine Art Blaupause für die Erwartungen an die Lieferkette (ESRS S2). Ein berichtspflichtiges Unternehmen wird die Fragen, die es für sich selbst beantworten muss, in ähnlicher Form an seine Lieferanten weitergeben. Wenn Sie als KMU also Ihre internen Prozesse in Bezug auf faire Bezahlung, Sicherheit und Vielfalt analysieren und dokumentieren, haben Sie bereits einen Großteil der Vorarbeit für die Anfragen Ihrer Kunden geleistet.

Ein kurzer Blick auf ESRS S3 und S4

Obwohl für die meisten KMU weniger unmittelbar relevant, vervollständigen diese beiden Standards das Bild der sozialen Verantwortung:

  • ESRS S3 (Betroffene Gemeinschaften): Hier geht es um die Auswirkungen auf das lokale Umfeld. Wie geht ein Unternehmen mit Lärmemissionen um? Wie wird der Dialog mit Anwohnern geführt? Werden lokale Gemeinschaften, insbesondere indigene Völker, durch die Geschäftstätigkeit beeinträchtigt?.
  • ESRS S4 (Verbraucher und Endnutzer): Dieser Standard fokussiert auf die Produktsicherheit und den Schutz der Konsumenten. Wie werden Kunden über Nachhaltigkeitsaspekte der Produkte informiert und wie wird ihre Sicherheit gewährleistet?.

Was bedeutet das konkret für KMU – auch wenn sie (noch) nicht direkt berichtspflichtig sind?

Die abstrakten Vorschriften der ESRS werden für KMU durch den sogenannten Kaskadeneffekt zu einer handfesten unternehmerischen Realität. Die Berichtspflichten der Großen „tröpfeln“ die Lieferkette hinab und manifestieren sich in Form konkreter Datenanfragen.

Der Kaskadeneffekt in der Praxis: Die Datenanfrage kommt bestimmt

Stellen Sie sich ein großes, berichtspflichtiges Unternehmen vor, zum Beispiel einen Automobilhersteller. Für die Erstellung seines gesetzlich vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsberichts muss dieser Hersteller den Abschnitt zu ESRS S2 „Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette“ ausfüllen. Um dies tun zu können, benötigt er Informationen von seinen hunderten oder tausenden Zulieferern.

In der Praxis wird dieses Unternehmen standardisierte Fragebögen, Lieferantenselbstauskünfte oder Plattformen nutzen, um diese Daten systematisch zu erheben. Ein KMU, das beispielsweise Metallkomponenten liefert, erhält dann eine Anfrage mit konkreten Fragen zu:

  • der Höhe der gezahlten Löhne im Vergleich zum gesetzlichen Mindestlohn,
  • der Anzahl der Arbeitsunfälle im letzten Jahr,
  • den durchgeführten Sicherheitsschulungen,
  • dem Frauenanteil in der Belegschaft,
  • den Richtlinien zur Verhinderung von Diskriminierung.

Die neue Erwartungshaltung: Vom Lieferanten zum transparenten Partner

Die Entwicklung verändert die Kunden-Lieferanten-Beziehung grundlegend. Kunden kaufen nicht mehr nur ein Produkt zu einem bestimmten Preis und in einer bestimmten Qualität. Sie erwerben auch den Nachweis, dass dieses Produkt unter sozial und ökologisch verantwortungsvollen Bedingungen hergestellt wurde. Ein Lieferant, der keine oder nur unzureichende Daten liefern kann, stellt für den Kunden ein Risiko dar. Dieses Risiko ist vielfältig:

  • Rechtliches Risiko: Der Kunde kann möglicherweise seinen eigenen Berichtspflichten nicht nachkommen.
  • Reputationsrisiko: Eine Verbindung zu Lieferanten mit schlechten Arbeitsbedingungen könnte das Image des Kunden beschädigen.
  • Operatives Risiko: Unfaire Arbeitsbedingungen können zu höherer Fluktuation und geringerer Qualität beim Lieferanten führen.

Die Beschaffungsabteilungen großer Unternehmen entwickeln sich daher von reinen Einkäufern zu Risikomanagern. Ihre Aufgabe ist es zunehmend, Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette zu minimieren. Ein Lieferant, der transparente und verlässliche Daten bereitstellen kann, wird als risikoärmer und damit als strategisch wertvoller eingestuft.

Der Wettbewerbsnachteil bei fehlender Vorbereitung

Die Konsequenzen für unvorbereitete KMU sind direkt und spürbar. Wenn Sie auf eine Datenanfrage Ihres wichtigsten Kunden nicht antworten können, Ihr direkter Wettbewerber aber eine umfassende, gut dokumentierte Auskunft liefert, geraten Sie ins Hintertreffen. Im Vergabeprozess für neue Aufträge wird die Fähigkeit, Nachhaltigkeitsdaten zu liefern, immer häufiger zu einem K.o.-Kriterium.

Umgekehrt bietet diese Entwicklung aber auch eine große Chance. Unternehmen, die ihre soziale und ökologische Leistung proaktiv erfassen und nachweisen können, positionieren sich als moderne, verlässliche und zukunftsfähige Partner. Sie heben sich vom Wettbewerb ab und können die neuen Anforderungen als Verkaufsargument nutzen. Nachhaltigkeitsdaten sind somit keine „weichen“ Faktoren für die Marketingabteilung mehr, sondern werden zu einer „harten“ Währung im Vertrieb und zu einer Voraussetzung für den Marktzugang.

So gelingt der Einstieg: konkrete Tipps für KMU

Die Fülle an neuen Anforderungen kann zu Beginn überwältigend wirken. Der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch nicht darin, sofort ein perfektes, allumfassendes System aufzubauen. Vielmehr geht es darum, pragmatisch und schrittweise vorzugehen und auf dem aufzubauen, was in Ihrem Unternehmen bereits vorhanden ist.

Interne Verantwortlichkeit klären

Der wichtigste erste Schritt ist, das Thema im Unternehmen zu verankern. Benennen Sie eine Person oder ein kleines, interdisziplinäres Team, das die Koordination übernimmt. Das kann die Geschäftsführung selbst sein, jemand aus der Personalabteilung, dem Qualitätsmanagement oder eine engagierte Person, die das Thema vorantreiben möchte. Ohne eine klare Zuständigkeit besteht die Gefahr, dass das Thema im Tagesgeschäft untergeht. Diese Person muss kein Nachhaltigkeitsexperte sein, sondern ein guter Koordinator und Motivator.

Pragmatische Maßnahmen mit großer Wirkung

Beginnen Sie mit einfachen Maßnahmen, die einen geringen Aufwand erfordern, aber eine große Wirkung erzielen. Die folgende Tabelle zeigt einige Beispiele, die sich an den Kernanforderungen der sozialen ESRS orientieren.

Maßnahme Aufwand (intern) Wirkung (extern/intern) Relevante ESRS-Themen
Interne Verantwortlichkeit festlegen Gering: Eine klare Entscheidung der Geschäftsführung Hoch: Schafft Fokus und Rechenschaftspflicht ESRS 2 (Governance)
Einfache Richtlinie für faire Entlohnung Gering-Mittel: Analyse der Gehälter, Verfassen eines Dokuments Hoch: Kernanforderung, wichtig für Mitarbeiterbindung ESRS S1-10
Dokumentation von Arbeitszeiten & Sicherheit Gering-Mittel: Systematisierung bestehender Prozesse Mittel-Hoch: Basis-Datenpunkt für viele Anfragen ESRS S1 (Arbeitsbedingungen)
Anonyme Mitarbeiterbefragung Mittel: Vorbereitung, Durchführung, Auswertung Hoch: Liefert qualitative Daten, zeigt Wertschätzung ESRS S1 (Sozialer Dialog)
Nutzung von VSME/IHK-Checklisten Gering: Download und Einarbeitung Mittel: Strukturiert den Prozess, spart Zeit Alle ESRS
Gespräch mit wichtigstem Kunden führen Gering: Ein Telefonat/Meeting Hoch: Klärt Erwartungen, positioniert Sie proaktiv ESRS S2 (Lieferkette)

Konkrete Umsetzung der Maßnahmen

  • Einführung einer einfachen Richtlinie für faire Entlohnung: Sie müssen keine komplexe Gehaltsstudie durchführen. Analysieren Sie Ihre bestehende Gehaltsstruktur. Zahlen Sie über dem gesetzlichen Mindestlohn? Wie ist das Verhältnis zu branchenüblichen Tarifverträgen? Halten Sie Ihre Grundsätze zur Entlohnung in einem kurzen, einseitigen Dokument fest. Dies ist Ihre fundierte Antwort auf die Frage nach „angemessener Entlohnung“ (ESRS S1-10).
  • Dokumentation von Arbeitszeiten und Sicherheitsvorkehrungen: Die meisten dieser Daten existieren bereits, wenn Sie ein modernes Zeiterfassungssystem nutzen. Stellen Sie sicher, dass die Aufzeichnungen systematisch und lückenlos sind. Listen Sie Ihre bestehenden Maßnahmen zur Arbeitssicherheit auf: Welche Sicherheitsschulungen gibt es? Welche Schutzausrüstung wird gestellt? Wie oft werden Maschinen gewartet? Diese Liste ist die Grundlage für Berichte zu ESRS S1.
  • Mitarbeiterzufriedenheit messbar machen: Führen Sie eine kurze, anonyme Mitarbeiterbefragung durch. Kostenlose Online-Tools sind dafür ausreichend. Achten Sie dabei aber auf die Einhaltung des Datenschutzes. Stellen Sie 5-10 Fragen zur Zufriedenheit mit dem Arbeitsumfeld, der Führungskultur, den Entwicklungsmöglichkeiten und der Work-Life-Balance. Die Ergebnisse liefern Ihnen nicht nur wertvolle Daten für externe Anfragen, sondern auch wichtige interne Impulse zur Verbesserung und zeigen Ihren Mitarbeitern, dass Sie deren Meinung wertschätzen.
  • Niedrigschwellige Tools & Vorlagen nutzen: Sie müssen das Rad nicht neu erfinden. Zahlreiche Organisationen bieten Hilfestellungen an. Die Industrie- und Handelskammern (IHKs), Handwerkskammern und Wirtschaftsverbände stellen oft Checklisten und Leitfäden zur Verfügung.
  • Kooperation und Branchenlösungen: Tauschen Sie sich mit anderen Unternehmen Ihrer Branche oder Ihrem Verband aus. Häufig gibt es bereits branchenspezifische Initiativen, Leitfäden oder sogar gemeinsame Plattformen zur Datenerfassung. Eine Kooperation ist oft effizienter und kostengünstiger als ein Alleingang.

Best Practices: Was andere KMU gut machen

Die theoretischen Anforderungen lassen sich am besten anhand praktischer Beispiele verstehen. Die folgenden fiktiven, aber realistischen Fälle zeigen, wie KMU unterschiedlicher Branchen den Einstieg in die soziale Nachhaltigkeitsberichterstattung meistern können.

Praxisbeispiel 1: Maschinenbau-Zulieferer (180 Mitarbeiter)

  • Die Herausforderung: Ein großer Kunde aus der Automobilbranche, der bereits berichtspflichtig ist, fordert eine umfassende Lieferantenselbstauskunft zu sozialen Standards, die sich an den ESRS orientiert. Die Frist beträgt acht Wochen.
  • Die Lösung: Die Geschäftsführung benennt den erfahrenen Qualitätsmanagement-Beauftragten zum CSRD-Koordinator. Dieser nutzt als erste Orientierung die „10 Schritte zur CSRD“-Handlungshilfe seiner lokalen IHK. In enger Zusammenarbeit mit der Personalabteilung trägt er bereits vorhandene Daten zusammen: Unfallstatistiken aus den jährlichen Sicherheitsunterweisungen (für das Thema Arbeitssicherheit) und anonymisierte Gehaltsbänder (für das Thema faire Bezahlung). Parallel wird eine kurze, anonyme Online-Mitarbeiterbefragung zur Arbeitszufriedenheit aufgesetzt. Für die Daten zur Lieferkette (ESRS S2) werden zunächst die bestehenden Lieferantenbewertungen im Hinblick auf soziale Kriterien überprüft.
  • Das Ergebnis: Das KMU kann die Anfrage des Kunden fristgerecht und fundiert beantworten. Statt nur ein Formular auszufüllen, legt es einen kurzen, eigenen Bericht bei, der auf dem VSME-Standard basiert. Im nächsten Vertriebsgespräch positioniert sich das Unternehmen proaktiv als „CSRD-ready“ und nutzt dies als Argument, um die Partnerschaft zu festigen.

Praxisbeispiel 2: Software-Dienstleister (80 Mitarbeiter)

  • Die Herausforderung: Das Unternehmen ist nicht direkt von Kundenanfragen betroffen, leidet aber unter dem Fachkräftemangel. Die Geschäftsführung möchte die Attraktivität als Arbeitgeber steigern und sich als modernes, verantwortungsbewusstes Unternehmen positionieren.
  • Die Lösung: Die Geschäftsführung nutzt die Anforderungen von ESRS S1 als internen Leitfaden für die Personalstrategie. Sie führt eine transparente Richtlinie zu Gehaltsentwicklung, flexiblen Arbeitsmodellen (Homeoffice, Teilzeit) und individuellen Weiterbildungsbudgets ein. Es werden einfache Kennzahlen zur Diversität erfasst (z.B. Frauenanteil in Projektleitungsrollen) und interne Ziele zur Steigerung festgelegt. Diese Maßnahmen werden nicht nur intern umgesetzt, sondern auch aktiv auf der Karriere-Website und in Jobportalen kommuniziert.
  • Das Ergebnis: Das Unternehmen erfüllt nicht nur die Kernanforderungen von ESRS S1, ohne dazu gezwungen zu sein, sondern stärkt gezielt sein Employer Branding. Die Anzahl qualifizierter Bewerbungen steigt, und die Mitarbeiterbindung verbessert sich. Das Unternehmen ist bestens auf zukünftige Anfragen vorbereitet und hat einen echten Geschäftsnutzen generiert.

Fazit und Ausblick

Die neuen europäischen Nachhaltigkeitsregeln sind mehr als nur eine weitere bürokratische Übung. Sie markieren einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie unternehmerische Leistung gemessen und bewertet wird. Für kleine und mittlere Unternehmen ist die Auseinandersetzung mit den European Sustainability Reporting Standards eine strategische Notwendigkeit geworden.

Der Aufwand, der mit der Erfassung und Aufbereitung von Daten zu fairer Bezahlung, Arbeitsbedingungen und Lieferkettenmanagement verbunden ist, lohnt sich aus mehreren Gründen. Erstens sichert er die Geschäftsbeziehungen zu großen Kunden, für die diese Informationen zu einer rechtlichen Verpflichtung werden. Zweitens stärkt er die eigene Position im intensiven Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte, denn der Nachweis guter Arbeitsbedingungen ist ein unschätzbarer Vorteil im Employer Branding. Drittens macht er das eigene Unternehmen widerstandsfähiger und zukunftsfähiger, weil Risiken frühzeitig erkannt und Chancen im Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft aktiv genutzt werden können.

Der Appell an alle Verantwortlichen in KMU lautet daher: Warten Sie nicht, bis die erste dringende Anfrage eines Kunden auf Ihrem Schreibtisch landet. Handeln Sie proaktiv. Sehen Sie die neuen Regeln als Anstoß, Ihre internen Prozesse zu überprüfen, die Beziehung zu Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu stärken und Ihr Unternehmen als verantwortungsvollen und verlässlichen Akteur am Markt zu positionieren. Der Weg beginnt nicht mit einem perfekten Bericht, sondern mit dem ersten, pragmatischen Schritt.

Nützliche Links & Ressourcen

Die folgenden Quellen bieten weiterführende Informationen, praktische Hilfsmittel und direkte Ansprechpartner, um Ihnen den Einstieg zu erleichtern.

Offizielle Informationen und Standards

Unterstützung und Leitfäden für KMU

  • Ihre lokale IHK oder Handwerkskammer: Dies sollte Ihr erster Ansprechpartner sein. Viele Kammern bieten persönliche Beratung, praxisnahe Checklisten, Webinare und Informationsveranstaltungen speziell für KMU an. Suchen Sie auf der Website Ihrer Kammer nach den Stichworten „CSRD“, „Nachhaltigkeit“ oder „ESRS“.
  • Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK): Der DNK hat seine Plattform angepasst, um Unternehmen bei der CSRD-konformen Berichterstattung zu unterstützen. Er bietet eine kostenlose, strukturierte Eingabemaske und verständlich aufbereitete Checklisten, die die komplexen ESRS-Anforderungen übersetzen.
  • Landesinitiativen (z.B. Umweltpakt Bayern): Viele Bundesländer haben eigene Initiativen, die exzellente und sehr praxisorientierte Materialien wie Handlungshilfen, Excel-Arbeitsblätter und Präsentationsvorlagen kostenlos zur Verfügung stellen.

Konkrete Tools und Vorlagen

  • EFRAG VSME Excel Template: Die offizielle, digitale Excel-Vorlage der EFRAG zur Erfassung von Nachhaltigkeitsdaten gemäß dem freiwilligen KMU-Standard. Ein unverzichtbares Werkzeug für den Start.
  • IHK-Handlungshilfe „10 Schritte zur CSRD“: Eine von mehreren IHKs gemeinsam entwickelte, sehr empfehlenswerte Präsentation, die den Prozess von der Betroffenheitsprüfung bis zur Berichterstellung in zehn überschaubare Schritte unterteilt.
  • Papershift und Papershift Pulse: Ermöglichen das Erfassen und Nachhalten der zur Berichterstattung benötigten Daten wie zum Beispiel zu Arbeitszeiten und digitalen Personalakten.

FAQs: die 10 wichtigsten Fragen für KMU zu ESRS und EU-Omnibus

Muss ich als KMU jetzt einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen?

In der Regel nicht direkt, aber Ihre großen Kunden werden die Daten für deren Berichte von Ihnen verlangen.

Was ist der „Trickle-Down-Effekt“ in einem Satz?

Die Berichtspflicht großer Unternehmen „tröpfelt“ in Form von Datenanforderungen die Lieferkette hinab zu den KMU.

Was ist das Wichtigste, das ich zum Thema „soziale Nachhaltigkeit“ wissen muss?

Sie müssen nachweisen können, dass Sie faire Löhne zahlen und für sichere Arbeitsbedingungen sorgen.

Was ist der allererste, einfachste Schritt, den ich tun kann?

Bestimmen Sie eine verantwortliche Person im Unternehmen und nutzen Sie eine Checkliste Ihrer IHK.

Kostet mich das Ganze nur Geld und Zeit?

Kurzfristig ja, aber langfristig sichert es Kundenbeziehungen und Ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Wo finde ich eine einfache Vorlage, um anzufangen?

Die EFRAG bietet eine offizielle Excel-Vorlage für den freiwilligen KMU-Standard (VSME) an.

Mein Kunde schickt mir einen riesigen Fragebogen – was tun?

Sprechen Sie mit ihm und verweisen Sie auf den einfacheren, standardisierten VSME-Standard als mögliche Alternative.

Was hat die „EU Omnibus-Richtlinie“ für mich geändert?

Sie hat die Regeln etwas gelockert und Fristen verschoben, aber der grundlegende Druck zur Datenerfassung bleibt.

Müssen meine Daten geprüft oder auditiert werden?

Ihre Daten selbst nicht, aber sie fließen in den geprüften Bericht Ihres Kunden ein, müssen also verlässlich sein.

Hilft mir das auch im Wettbewerb um Fachkräfte?

Ja, denn der Nachweis guter Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung macht Sie zu einem attraktiveren Arbeitgeber.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.