Zeiterfassung in großen Unternehmen: Strategie, Umsetzung und Checkliste

Zeiterfassung in großen Unternehmen: Strategie, Umsetzung und Checkliste Zeiterfassung in großen Unternehmen...
Digitale Personalakte: Mitarbeiter schaut auf Laptop

© contrastwerkstatt / Adobe Stock

Zeiterfassung in großen Unternehmen: Strategie, Umsetzung und Checkliste

Zeiterfassung in großen Unternehmen stellt besondere Anforderungen, die bereits bei der Einführung beachtet werden müssen.  Weit über die reine Anwesenheitskontrolle oder Lohnabrechnung hinaus ist sie heute ein zentrales Instrument zur Steuerung der Produktivität, zur Sicherstellung der rechtlichen Konformität und zur Stärkung der Arbeitgebermarke.

TL;DR

  • Große Unternehmen stellen besondere Anforderungen an die Zeiterfassung ihrer Mitarbeiter.
  • Beispiele: internationales Recht, unterschiedliche Arbeitsmodelle und Fragen der Skalierung.
  • Neben organisatorischen müssen auch technische Anforderungen beachtet werden.
  • Die Auswahl passender Zeiterfassungssoftware ermöglicht eine weitgehend reibungslose Implementierung.

Welche Herausforderungen stellt Zeiterfassung an große Unternehmen?

Im Gegensatz zu KMUs gibt es bei der Arbeitszeiterfassung in großen Unternehmen einige zusätzliche Dinge zu beachten:

Hohe Komplexität und Skalierbarkeit: Große Unternehmen benötigen Systeme, die viele, manchmal Tausende von Mitarbeitern über zahlreiche Abteilungen, Standorte und oft mehrere rechtliche Einheiten  hinweg verwalten können, ohne an Leistung zu verlieren. Hier lautet ein wichtiges Stichwort “Mandantenfähigkeit”.

Vielfältige Arbeits- und Tarifmodelle: Anders als in vielen KMU existieren in Großkonzernen verschiedenste Arbeitszeitmodelle parallel; vom 24/7-Schichtbetrieb in der Produktion über Vertrauensarbeitszeit im Management bis zu mobiler Arbeit im Außendienst. Ein System muss diese Komplexität regelbasiert abbilden können.

Tiefe Systemintegration und IT-Sicherheit: Die Zeiterfassung ist kein isoliertes Werkzeug. Sie muss nahtlos und sicher über Schnittstellen (APIs) an zentrale Systeme wie Lohnbuchhaltung (z. B. SAP, DATEV), Personalmanagement (HRIS) und Projektcontrolling angebunden werden, wobei höchste IT-Sicherheitsstandards (z. B. SSO, MFA) beachtet werden müssen.

Starke Mitbestimmung und Change Management: Der Betriebsrat hat bei der Einführung von Zeiterfassungssystemen weitreichende Mitbestimmungsrechte (§ 87 BetrVG). Die Verhandlungen sind oft langwierig und der Roll-out an Tausende Mitarbeiter erfordert eine professionelle Kommunikations- und Change-Management-Strategie, um Akzeptanz zu sichern.

Internationale Compliance-Anforderungen: Für global agierende Konzerne reicht die Beachtung deutscher Gesetze nicht aus. Das Zeiterfassungssystem muss die unterschiedlichen Arbeitszeit- und Datenschutzgesetze (z. B. DSGVO in der EU) verschiedener Länder gleichzeitig abbilden und einhalten können.

Der rechtliche Rahmen: eine 360-Grad-Analyse

Die Einführung oder Modernisierung eines Zeiterfassungssystems in einem großen Unternehmen ist untrennbar mit einem komplexen rechtlichen Rahmenwerk verbunden. Die jüngsten Entwicklungen haben eine neue Realität geschaffen, die ein tiefes Verständnis der geltenden und zukünftigen Vorschriften erfordert.

Fundamentale Vorgaben aus Luxemburg und Erfurt (EuGH & BAG)

Die rechtliche Grundlage wurde durch zwei entscheidende Urteile zementiert. Der EuGH legte 2019 fest, dass Arbeitgeber ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Messung der täglichen Arbeitszeit bereitstellen müssen, um die in der EU-Arbeitszeitrichtlinie verankerten Rechte auf Mindestruhezeiten und eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu gewährleisten. Das BAG hat diese europäische Vorgabe im September 2022 bestätigt.

Dies hat weitreichende Konsequenzen:

  1. Unmittelbare Geltung: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht seit dem BAG-Beschluss für alle Arbeitgeber in Deutschland, unabhängig von einer noch ausstehenden gesetzlichen Neuregelung. Ein Abwarten ist keine rechtssichere Option mehr.
  2. Umfassender Anwendungsbereich: Die Pflicht erstreckt sich auf die gesamte Arbeitszeit und nicht nur auf Überstunden, wie es § 16 ArbZG bisher vorsah. Sie gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer. Das Arbeitsschutzgesetz kennt, anders als das Arbeitszeitgesetz, keine generelle Ausnahme für leitende Angestellte, was in der Praxis zu einer Ausweitung der Erfassungspflicht auf diese Gruppe führen dürfte.
  3. Pflicht zur Anwendung: Es genügt nicht, ein System lediglich zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dessen tatsächliche und korrekte Nutzung sicherzustellen.

Das Spannungsfeld Vertrauensarbeitszeit

Eine der größten kulturellen Herausforderungen ist die Vereinbarkeit der Erfassungspflicht mit dem Modell der Vertrauensarbeitszeit. Entgegen vieler Befürchtungen bedeutet die neue Rechtslage nicht das Ende dieses flexiblen Arbeitsmodells, sondern erfordert eine gewisse Neudefinition. Das „Vertrauen“ bezieht sich künftig auf die eigenverantwortliche Gestaltung von Lage und Ort der Arbeit durch den Mitarbeiter. Die gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, die Einhaltung der Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten sicherzustellen und zu dokumentieren, bleibt davon unberührt.

In der Praxis bedeutet dies eine Entkopplung: Der Arbeitgeber vertraut dem Mitarbeiter, dass dieser seine Arbeitszeiten im bereitgestellten System selbstständig und korrekt erfasst. Die Verantwortung für die Bereitstellung des Systems und die stichprobenartige Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen verbleibt jedoch vollumfänglich beim Arbeitgeber.

Datenschutz (DSGVO & BDSG) und IT-Sicherheit

Die Erfassung von Arbeitszeiten bedeutet die Verarbeitung personenbezogener Daten in großem Stil, was die strikte Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) unabdingbar macht.

  • Zweckbindung und Datenminimierung: Die erhobenen Daten dürfen grundsätzlich nur zum Zweck der Arbeitszeiterfassung und der Erfüllung der gesetzlichen Dokumentationspflichten verwendet werden. Eine darüber hinausgehende Nutzung, insbesondere zur verdeckten Leistungs- oder Verhaltenskontrolle, ist ohne eine explizite Rechtsgrundlage und die Zustimmung des Betriebsrats unzulässig.
  • Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA): Die Einführung eines zentralen, elektronischen Zeiterfassungssystems stellt eine Verarbeitung mit potenziell hohem Risiko für die Rechte und Freiheiten der Beschäftigten dar. Daher ist in der Regel vor der Einführung eine DSFA gemäß Art. 35 DSGVO in enger Abstimmung mit dem Datenschutzbeauftragten und dem Betriebsrat durchzuführen.
  • IT-Sicherheit: Das gewählte System muss durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen (TOMs) geschützt werden. Dazu gehören Verschlüsselung, sichere Authentifizierungsverfahren wie Single-Sign-On (SSO) oder Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) sowie Serverstandorte innerhalb der EU, um den Anforderungen der DSGVO gerecht zu werden.

Internationale Konzernpflichten und Drittlandsstandorte

Für global agierende Konzerne bedeutet die Vielfalt internationaler Arbeitszeitregelungen ein besonderes Maß an Komplexität. Ein Zeiterfassungssystem muss in der Lage sein, unterschiedliche gesetzliche und tarifliche Vorgaben für verschiedene Länder und Standorte abzubilden (z. B. abweichende Pausenregelungen, Höchstarbeitszeiten, Feiertagszuschläge). Das erfordert eine mandantenfähige und hochgradig konfigurierbare Softwarearchitektur, die es ermöglicht, für jede rechtliche Entität eigene Regelwerke zu hinterlegen, während gleichzeitig eine zentrale Datenhaltung und Auswertung auf Konzernebene möglich bleibt. Die Herausforderung besteht darin, globale Standards zu etablieren und gleichzeitig lokale Compliance sicherzustellen.

Organisatorische und technologische Weichenstellungen

Die erfolgreiche Einführung eines Zeiterfassungssystems in einem großen Unternehmen ist weit mehr als eine reine IT-Implementierung. Sie erfordert eine sorgfältige organisatorische Vorbereitung und eine kluge Auswahl der technologischen Lösungslandschaft, um den vielfältigen Anforderungen eines großen Unternehmens gerecht zu werden.

Bevor eine Software ausgewählt wird, müssen die internen Hausaufgaben gemacht werden. Dies schafft die Grundlage für einen reibungslosen Übergang und maximiert den Nutzen des neuen Systems.

Prozesse analysieren und dokumentieren

Der erste Schritt ist eine detaillierte Analyse und Dokumentation aller bestehenden Prozesse, die mit der Arbeitszeit in Verbindung stehen. Das reicht von der Schicht- und Einsatzplanung über die Erfassung von An- und Abwesenheiten bis hin zur Genehmigung von Überstunden und der finalen Übergabe der Daten an die Lohnbuchhaltung. Dieses Mapping deckt Ineffizienzen, Medienbrüche und „Schatten-IT“ (z. B. unkoordinierte Excel-Listen) auf und definiert klare Anforderungen an den Soll-Prozess.

Rollen und Verantwortlichkeiten klären

Es muss unmissverständlich geklärt werden, wer welche Rolle im neuen Prozess einnimmt. Wer ist für die korrekte und zeitnahe Erfassung der Zeiten verantwortlich (in der Regel der Mitarbeiter selbst)? Wer genehmigt Abweichungen, Überstunden oder Korrekturen (z.B. der direkte Vorgesetzte)? Wer administriert das System und ist für die Datenübergabe an die Lohnabrechnung zuständig (HR-Shared-Service-Center)? Die klare Definition dieser Rollen und Verantwortlichkeiten ist entscheidend für die Prozesssicherheit.

Schnittstellen zu Kernsystemen definieren

In großen Unternehmen existiert kein System isoliert. Die Zeiterfassung muss als integraler Bestandteil der HR- und ERP-Landschaft verstanden werden. Kritische Schnittstellen zu Systemen für die Lohn- und Gehaltsabrechnung (z. B. DATEV, SAP HCM), das Projekt-Controlling (zur Zuordnung von Arbeitszeiten auf Kostenstellen oder Projekte) und die übergeordnete Personaleinsatzplanung (Workforce Management) müssen frühzeitig identifiziert und technisch spezifiziert werden.

Schulungen, Change-Management und Kommunikationsstrategie planen

Die Einführung eines neuen Zeiterfassungssystems kann bei manchen Beschäftigten Ängste vor Kontrolle und Überwachung auslösen. Eine proaktive und transparente Kommunikationsstrategie ist deshalb unerlässlich. Sie muss den Mitarbeitern und Führungskräften den Nutzen des Systems (Fairness, Transparenz, Schutz vor Überlastung) vermitteln und Bedenken adressieren.

Gezielte Schulungen, die auf die unterschiedlichen Nutzergruppen zugeschnitten sind, stellen sicher, dass das System korrekt und effizient genutzt wird und fördern die Akzeptanz im gesamten Unternehmen.

Die Technologielandschaft

Die Auswahl der richtigen Technologie für die Zeiterfassung ist eine strategische Entscheidung, welche die Zukunftsfähigkeit, Skalierbarkeit und Effizienz des gesamten Prozesses bestimmt.

  • Hardware: Die Wahl der passenden Zeiterfassungsgeräte hängt stark vom jeweiligen Arbeitsumfeld ab. In Produktions- oder Logistikbereichen sind robuste Hardware-Terminals (mit RFID-Chip, PIN-Eingabe oder biometrischen Merkmalen wie Fingerabdruck) oft die beste Wahl. Für Büroangestellte, insbesondere im Hybrid-Modell, eignen sich Web-Clients am PC oder mobile Apps auf Dienst- oder Privat-Smartphones (BYOD). Letztere sind für Außendienstmitarbeiter unverzichtbar.
  • Software: On-Premise vs. Software-as-a-Service (SaaS): Während On-Premise-Lösungen die volle Datenkontrolle im eigenen Rechenzentrum versprechen, überwiegen für große, verteilte Organisationen die Vorteile von SaaS-Lösungen. Cloud-basierte Systeme wie Papershift bieten eine überlegene Skalierbarkeit, erfordern keine hohen Anfangsinvestitionen in Hardware, werden vom Anbieter gewartet und aktualisiert und sind von überall zugänglich. Entscheidend ist die Mandantenfähigkeit, die es erlaubt, verschiedene Standorte, Tochtergesellschaften oder Länder mit jeweils eigenen Regelwerken auf einer einzigen Plattform zentral zu verwalten.
  • API-Fähigkeit und Integration: Eine offene und gut dokumentierte Programmierschnittstelle (API) ist das wichtigste technische Kriterium für große Unternehmen. Sie ist die Voraussetzung dafür, das Zeiterfassungssystem nahtlos in die bestehende IT-Infrastruktur zu integrieren und einen automatisierten Datenfluss zwischen den Systemen zu gewährleisten, um manuelle Eingriffe und Dateninkonsistenzen zu vermeiden.
  • Analytics und Dashboards: Moderne Systeme sind mehr als nur Datensammler. Sie müssen die Daten in wertvolle Informationen umwandeln. Echtzeit-Dashboards für Führungskräfte und HR ermöglichen ein Live-Compliance-Monitoring, das sofort auf Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (z. B. zu kurze Ruhezeiten) hinweist. Vorausschauende Analysen (Forecasting) können auf Basis historischer Daten den zukünftigen Personalbedarf prognostizieren und so die Personaleinsatzplanung optimieren.

Die folgende Tabelle stellt die zentralen Herausforderungen bei der Einführung eines Zeiterfassungssystems in großen Unternehmen den allgemeinen Lösungsansätzen und den spezifischen Vorteilen der Papershift-Plattform gegenüber.

Herausforderung Allgemeine Lösung Papershift Vorteile für große Unternehmen
Management diverser Arbeitszeitmodelle (Schicht, Gleitzeit, Remote, Teilzeit) über mehrere Standorte und rechtliche Einheiten. Zentrales, hochgradig konfigurierbares Softwaresystem, das flexible, regelbasierte Einstellungen pro Mitarbeitergruppe, Abteilung oder Standort erlaubt. Papershift ist eine cloud-basierte, mandantenfähige Plattform, die die zentrale Verwaltung beliebig vieler Standorte ermöglicht. Es können individuelle Arbeitsbereiche mit spezifischen Regeln (z. B. Pausenregelungen, Kernzeiten) definiert und Mitarbeiter flexibel über mehrere Dienstpläne hinweg verplant werden („Springer-Management“).
Lückenlose und rechtssichere Erfassung für mobile Mitarbeiter (Außendienst, Vertrieb, Hybrid-Work, Homeoffice). Bereitstellung einer mobilen Zeiterfassungs-App mit optionaler Standorterfassung (unter Beachtung des Datenschutzes) und Offline-Fähigkeit Papershift bietet eine dedizierte Stempeluhr-App für iOS und Android, die eine ortsunabhängige und sekundengenaue Erfassung der Arbeitszeiten ermöglicht. Für Homeoffice-Szenarien können die erlaubten IP-Adressbereiche eingeschränkt werden, um die Erfassung auf den vereinbarten Arbeitsort zu begrenzen.
Nahtlose Integration in bestehende Systemlandschaften (insb. Lohnabrechnung, ERP, HRIS) zur Vermeidung von Datensilos und manueller Arbeit. Auswahl eines Systems mit einer offenen, gut dokumentierten API und standardisierten Exportformaten (z. B. CSV, XML) sowie direkten Konnektoren zu gängigen Systemen (z. B. DATEV). Papershift bietet automatisierte, DATEV-kompatible Exporte, die den Prozess der Lohnabrechnungsvorbereitung erheblich beschleunigen. Zudem existiert eine API und eine etablierte Integration mit führenden HR-Systemen wie Personio, was einen bidirektionalen Datenaustausch für An- und Abwesenheiten ermöglicht.
Sicherstellung der Compliance mit dem Arbeitszeitgesetz (Höchstarbeitszeit, Pausen, Ruhezeiten) und Vermeidung von Bußgeldern. Implementierung eines Systems mit Echtzeit-Validierung und automatischen Warnmeldungen bei drohenden Gesetzesverstößen sowie revisionssicherer Speicherung der Daten. Das System erfasst alle Zeitbuchungen rechtssicher und manipulationssicher. Durch ein flexibles Regelwerk können automatische Pausenabzüge, Rundungsregeln und Obergrenzen für Arbeitszeiten systemseitig durchgesetzt werden. Echtzeit-Auswertungen und Berichte geben HR und Führungskräften jederzeit einen Überblick über den Compliance-Status.
Gewährleistung von Mitarbeiterakzeptanz und Datenschutz (DSGVO-Konformität) bei gleichzeitiger Transparenz. Bereitstellung von Mitarbeiter-Self-Service-Portalen, transparente Kommunikation über den Zweck der Datenerfassung und Auswahl eines Anbieters mit EU-Serverstandort und klaren Datenschutzrichtlinien. Papershift bietet Mitarbeitern einen Self-Service-Zugang, über den sie ihre eigenen Zeiten, Urlaubskonten und Dienstpläne einsehen können, was die Transparenz und das Vertrauen fördert. Das Unternehmen betreibt seine Server ausschließlich in Deutschland und hat sich zu strengen Datenschutzrichtlinien verpflichtet, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.

Die Implementierung der Zeiterfassung als strategisches Projekt: ein Phasenmodell

Die Einführung eines Zeiterfassungssystems in großen Unternehmen ist ein komplexes Transformationsprojekt, das weit über die technische Installation hinausgeht. Es berührt Kernprozesse in HR, IT und im operativen Geschäft und hat direkte Auswirkungen auf die tägliche Arbeit und die Kultur des gesamten Unternehmens. Ein strukturiertes Vorgehen nach einem bewährten Phasenmodell ist daher entscheidend für den Erfolg.

Phase 1: Analyse & Planung

Diese Phase legt das Fundament für das gesamte Projekt. Sie beginnt mit der Bildung eines interdisziplinären Projektteams, das Vertreter aus der Geschäftsführung, HR, IT, dem Betriebsrat und relevanten Fachabteilungen umfasst. Die Hauptaufgaben dieser Phase sind:

  • Detaillierte Anforderungsanalyse: Erstellung eines umfassenden Anforderungskatalogs (Lastenhefts), der alle funktionalen, technischen, rechtlichen und prozessualen Anforderungen beschreibt.
  • Budgetplanung und Total Cost of Ownership (TCO): Eine realistische Kalkulation, die nicht nur die Lizenzkosten, sondern auch Aufwände für Implementierung, Schulung, internen Support und laufenden Betrieb berücksichtigt.
  • Marktanalyse und Anbieterauswahl: Systematische Evaluierung potenzieller Anbieter anhand des Anforderungskatalogs, Einholung von Angeboten und Durchführung von Software-Demonstrationen.
  • Verhandlung der Betriebsvereinbarung: Frühzeitige und partnerschaftliche Aufnahme der Verhandlungen mit dem Betriebsrat, um die Rahmenbedingungen für die Einführung und Anwendung des Systems rechtssicher festzulegen.

Phase 2: Pilotierung

Die Pilotphase ist wichtig zur Risikominimierung und Akzeptanzsicherung. Anstatt das System sofort unternehmensweit auszurollen, wird es in einem oder mehreren ausgewählten, repräsentativen Bereichen (z. B. eine Abteilung, ein Standort) für einen begrenzten Zeitraum getestet. Diese Phase dient nicht nur der technischen Validierung, sondern vor allem dem kulturellen Testlauf.

Hier zeigt sich in der Praxis, wie die Mitarbeiter auf das neue System reagieren, wo es zu Missverständnissen kommt und welche Prozesse noch nicht reibungslos funktionieren. Das Feedback aus der Pilotgruppe – idealerweise eine Mischung aus Befürwortern und Skeptikern – ist von unschätzbarem Wert. Es ermöglicht, die Konfiguration des Systems zu optimieren, die Schulungsunterlagen zu verfeinern und die unternehmensweite Kommunikationsstrategie anzupassen. Erfolgsgeschichten und positive Testimonials aus dem Pilotprojekt sind die wirksamsten Argumente, um die restliche Belegschaft von den Vorteilen der neuen Lösung zu überzeugen und Widerstände abzubauen.

Phase 3: Stufenweiser Roll-out

Basierend auf den Erkenntnissen der Pilotphase erfolgt die unternehmensweite Einführung in geplanten, überschaubaren Wellen. Dieser stufenweise Ansatz hat mehrere Vorteile: Er überlastet das Projekt- und Support-Team nicht, ermöglicht eine gezielte Betreuung der jeweiligen Nutzergruppen und erlaubt es, aus jeder Welle zu lernen und den Prozess für die nächste zu verbessern.

Jede Roll-out-Welle wird von einer intensiven Kommunikations- und Schulungskampagne begleitet, die betroffene Mitarbeiter und Führungskräfte auf den Start vorbereitet. Der Zeitplan für den Roll-out sollte die gesetzlichen Übergangsfristen berücksichtigen und realistisch geplant sein.

Phase 4: Hypercare & Optimierung

Unmittelbar nach dem Go-Live jeder Welle beginnt die „Hypercare“-Phase. In diesem Zeitraum steht ein verstärktes Support-Team zur Verfügung, um Anwenderfragen schnell zu beantworten und auftretende Probleme umgehend zu lösen. Das ist entscheidend, um die anfängliche Frustration zu minimieren und eine positive Nutzererfahrung sicherzustellen.

Nach der Stabilisierung des Betriebs geht das Projekt in die Phase der kontinuierlichen Überwachung und Optimierung über. Anhand vordefinierter Kennzahlen (KPIs) wie z. B. der Reduktion des manuellen Aufwands in der Lohnabrechnung, der Einhaltungsquote von Pausenzeiten oder der Anzahl der Korrekturbuchungen wird der Erfolg des Projekts gemessen. Regelmäßiges Feedback der Nutzer hilft dabei, die Prozesse und die Systemkonfiguration kontinuierlich zu verbessern und den vollen Nutzen der Investition zu realisieren.

Spezifische Einsatzszenarien in Großunternehmen

Große Unternehmen zeichnen sich durch eine heterogene Belegschaft und eine Vielfalt von Arbeitskontexten aus. Ein „One-size-fits-all“-Ansatz bei der Zeiterfassung ist daher zum Scheitern verurteilt. Ein modernes System muss in der Lage sein, die spezifischen Anforderungen unterschiedlicher Einsatzszenarien flexibel abzubilden.

Remote- & Hybrid-Work, Dienstreisen und Vertriebs-Außendienst

Die Erfassung der Arbeitszeit für eine verteilte Belegschaft stellt besondere Anforderungen an Technologie und Richtlinien.

Aus technologischer Sicht sind mobile-first Lösungen gefragt. Apps für Smartphones oder Web-Clients am Laptop ermöglichen eine ortsunabhängige Erfassung. Wichtig ist, dass diese auch offline funktionieren und Daten synchronisieren, sobald wieder eine Internetverbindung besteht.

Es müssen klare Regeln definiert werden, was im Homeoffice als Arbeitszeit gilt. Dazu gehört die sogenannte Rüstzeit (z. B. das Hochfahren des Computers und der notwendigen Systeme), die als Arbeitszeit zu werten ist. Ebenso müssen für Dienstreisen klare Vereinbarungen getroffen werden, wann Reisezeit als Arbeitszeit vergütet wird. Das ist typischerweise der Fall, wenn der Arbeitgeber die Nutzung eines bestimmten Verkehrsmittels vorschreibt oder während der Reise gearbeitet wird.

Trotz der Dokumentationspflicht muss eine Kultur des Vertrauens und der Ergebnisorientierung gepflegt werden. Die Zeiterfassung dient der Einhaltung des gesetzlichen Rahmens und nicht der Mikrokontrolle der Tätigkeit zu Hause.

24/7-Schichtbetriebe und Produktion

In der Produktion und in Bereichen mit kontinuierlichem Schichtbetrieb ist die Komplexität der Zeitwirtschaft besonders hoch.

Das System muss in der Lage sein, komplexe Schichtmodelle, rotierende Pläne und die damit verbundenen Zuschläge (Nacht-, Sonn-, Feiertagszuschläge) automatisch und fehlerfrei zu berechnen.

Eine besondere Herausforderung sind die gesetzlichen Ruhezeiten, insbesondere bei kurzen Schichtwechseln. Ein intelligentes System muss solche potenziellen Verstöße bereits bei der Planung oder spätestens bei der Erfassung erkennen und Warnmeldungen ausgeben, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen und rechtliche Risiken zu minimieren.

Die Anbindung an die Personaleinsatzplanung und an Produktionsplanungssysteme (PPS/MES) ist hier von großem Wert, um den Personalbedarf präzise an das Produktionsaufkommen anzupassen und die Produktivität zu optimieren.

Projektbasierte Dienstleister / Consulting

Für Unternehmensbereiche, die projektbasiert arbeiten und ihre Leistungen extern oder intern verrechnen (z. B. IT, Consulting, F&E), reicht die reine Anwesenheitserfassung nicht aus.

Das Zeiterfassungssystem muss eine mehrdimensionale Erfassung ermöglichen, bei der die Arbeitszeit nicht nur erfasst, sondern direkt einem bestimmten Projekt, einer Aufgabe oder einem Kunden zugeordnet wird.

Diese Daten sind die Grundlage für eine exakte und nachvollziehbare Rechnungsstellung an Kunden sowie für ein präzises Projektcontrolling. Sie ermöglichen die Analyse der Rentabilität von Projekten und die Steuerung von Budgets in Echtzeit.

Internationale Matrixorganisationen

In Konzernen mit Matrixstrukturen arbeiten Mitarbeiter oft für mehrere Vorgesetzte (disziplinarisch und fachlich) und in Teams, die über Länder- und Unternehmensgrenzen hinweg agieren.

Die Zuständigkeiten für die Genehmigung von Arbeitszeiten oder Urlaub können unklar sein. Das System muss flexible Genehmigungs-Workflows abbilden können, die diese Mehrfachunterstellungen berücksichtigen.

Ein Mitarbeiter, der in Deutschland angestellt ist, aber in einem Projekt für einen Manager in Frankreich arbeitet, unterliegt deutschem Arbeitsrecht. Das System muss sicherstellen, dass die jeweils gültigen nationalen Gesetze (z. B. zu Höchstarbeitszeiten oder Pausen) eingehalten werden, auch wenn die fachliche Steuerung aus einem anderen Land erfolgt. Dies erfordert eine mandantenfähige Architektur, die unterschiedliche Regelwerke parallel verwalten kann.

Blue- vs. White-Collar-Workflows

Die Anforderungen an die Benutzerfreundlichkeit und die Erfassungsmethoden unterscheiden sich je nach Mitarbeitergruppe.

  • Blue-Collar: In Produktions-, Logistik- oder Handwerksbereichen, wo Mitarbeiter nicht an einem festen PC-Arbeitsplatz tätig sind, sind zentrale Hardware-Terminals oft die effizienteste und robusteste Lösung. Die Identifikation erfolgt schnell und einfach per Chipkarte, PIN oder Fingerabdruck.
  • White-Collar: Für Wissensarbeiter ist eine nahtlose Integration in ihren digitalen Arbeitsplatz entscheidend. Die Erfassung sollte unkompliziert über einen Web-Client am PC, eine mobile App oder idealerweise durch intelligente Integrationen (z. B. mit dem Outlook-Kalender) erfolgen, um den administrativen Aufwand so gering wie möglich zu halten.

Ein leistungsfähiges System für ein großes Unternehmen muss die Flexibilität besitzen, all diese unterschiedlichen Workflows auf einer einzigen, zentralen Plattform zu unterstützen.

Checkliste für Entscheider

Diese Checkliste fasst die wesentlichen Kriterien zusammen, die bei der Auswahl und Einführung eines Zeiterfassungssystems in einem großen Unternehmen zu prüfen sind:

Projekt und Strategie

  •  Ist ein funktionsübergreifendes Projektteam (HR, IT, Legal, Betriebsrat, Fachbereiche) etabliert?
  •  Wurde ein detaillierter Anforderungskatalog erstellt, der alle Use Cases des Unternehmens abbildet?
  •  Liegt eine realistische Budgetplanung vor, die die Total Cost of Ownership (TCO) berücksichtigt?
  •  Gibt es eine klare Roadmap, die kurzfristige Compliance-Ziele von langfristigen Optimierungszielen trennt?

Funktionale & Technische Anforderungen

  •  Unterstützt die Lösung alle im Unternehmen vorhandenen Arbeitszeitmodelle (Schicht, Gleitzeit, Remote, Teilzeit, Matrix etc.)?
  •  Bietet das System flexible Erfassungsmethoden für alle Mitarbeitergruppen (Terminal, Web, Mobile App)?
  •  Ist das System mandantenfähig, um verschiedene Standorte und rechtliche Einheiten mit eigenen Regeln verwalten zu können?
  •  Verfügt die Software über eine offene und gut dokumentierte API für die Integration in unsere bestehende Systemlandschaft (Payroll, ERP)?
  •  Bietet die Lösung leistungsstarke Echtzeit-Analyse- und Reporting-Funktionen zur Compliance-Überwachung und Planung?

Recht & Compliance

  •  Ist der Anbieter DSGVO-konform und werden die Daten auf Servern innerhalb der EU (idealerweise in Deutschland) gehostet?
  •  Ist das System revisionssicher und erfüllt es die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen?
  •  Wurde eine umfassende Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat ausgehandelt und abgeschlossen?
  •  Wurde eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) durchgeführt?

Implementierung & Change Management

  •  Ist ein stufenweiser Roll-out-Plan inklusive einer Pilotphase vorgesehen?
  •  Gibt es eine klare Kommunikationsstrategie, um die Mitarbeiter transparent zu informieren und Akzeptanz zu fördern?
  •  Sind umfassende Schulungsmaßnahmen für alle Anwendergruppen (Mitarbeiter, Führungskräfte, HR-Admins) geplant?
  •  Bietet der Anbieter professionellen Support während der Implementierung und im laufenden Betrieb?

Frequently Asked Questions (FAQ)

Ist Zeiterfassung jetzt für alle Pflicht?

Ja, laut BAG-Urteil vom September 2022 sind alle Arbeitgeber in Deutschland verpflichtet, ein System zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit aller Arbeitnehmer einzuführen und zu nutzen. Dies leitet sich aus der Fürsorgepflicht im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes ab.

Muss die Zeiterfassung elektronisch erfolgen?

Nach dem aktuellen BAG-Urteil ist die Form noch frei, der letzte Gesetzesentwurf sieht aber die elektronische Erfassung als verbindlichen Standard vor. Für die Umstellung werden Übergangsfristen je nach Unternehmensgröße gewährt.

Was passiert mit der Vertrauensarbeitszeit?

Sie bleibt als flexibles Arbeitsmodell möglich, bezieht sich aber nur noch auf die eigenverantwortliche Gestaltung der Arbeitszeit durch den Mitarbeiter. Die Pflicht zur lückenlosen Dokumentation der geleisteten Stunden und zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzen bleibt für den Arbeitgeber bestehen.

Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht?

Ja, der Betriebsrat hat ein zwingendes und umfassendes Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung und Anwendung des Zeiterfassungssystems gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, da es sich um eine technische Überwachungseinrichtung handelt.

Welche Daten müssen erfasst werden?

Erfasst werden müssen Beginn, Ende und die daraus resultierende Gesamtdauer der täglichen Arbeitszeit sowie die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Pausenzeiten. Dies ist notwendig, um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes nachweisen zu können.

Dürfen die erfassten Daten zur Leistungskontrolle genutzt werden?

Nein, eine Nutzung zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle ist ohne eine explizite rechtliche Grundlage und die Zustimmung des Betriebsrats grundsätzlich unzulässig. Der Zweck der Erfassung ist die Einhaltung der Arbeitsschutz- und Arbeitszeitgesetze.

Was ist die größte Herausforderung bei der Einführung?

Die größte Herausforderung ist nicht die Technik, sondern das Change-Management. Eine transparente Kommunikation und die frühzeitige Einbindung von Mitarbeitern und Betriebsrat sind entscheidend, um Akzeptanz zu schaffen und Widerstände abzubauen.

Wie werden mobile Arbeit und Homeoffice erfasst?

Die Erfassung muss über flexible Lösungen wie mobile Apps oder Web-Clients erfolgen, die eine ortsunabhängige und dennoch präzise Dokumentation ermöglichen. Es müssen klare Richtlinien definiert werden, was im Homeoffice als Arbeitszeit gilt.

Welche Strafen drohen bei Nichtbeachtung?

Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht Bußgelder von bis zu 30.000 Euro vor. Zudem besteht das Risiko von arbeitsrechtlichen Klagen auf Vergütung nicht erfasster Überstunden und von Anordnungen der zuständigen Arbeitsschutzbehörden.

Lohnt sich ein Zeiterfassungssystem über die Erfüllung der Vorschriften hinaus?

Ja, ein modernes System steigert die Effizienz in HR und Payroll durch Automatisierung, liefert wertvolle Daten für eine bessere Personal- und Ressourcenplanung und schafft Transparenz und Fairness für die Mitarbeiter.

Zusammenfassung

Große Unternehmen stellen besondere Anforderungen an die Zeiterfassung ihrer Mitarbeiter, da sie neben organisatorischen auch technische Aspekte berücksichtigen müssen. Dabei spielen unter anderem internationales Recht, unterschiedliche Arbeitsmodelle sowie Fragen der Skalierung eine wichtige Rolle. Die Auswahl einer passenden Zeiterfassungssoftware ermöglicht es, diese komplexen Anforderungen zu erfüllen und eine weitgehend reibungslose Implementierung sicherzustellen.



Verfasst von Christian Kunz

Christian verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Projektmanagement, Produktmanagement sowie agiler Projektentwicklung, die er in verschiedenen Unternehmen erworben hat.