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New Work in der Pflege – machbar oder vollkommen unrealistisch?
New Work – damit werden vor allem flexible Arbeitsmodelle verbunden, die den Arbeitskräften eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen – und in der Pandemie unerlässlich waren. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sich nicht alle Tätigkeiten im Home Office erledigen lassen. Wie lässt sich also New Work in der Pflege umsetzen? Oder taugt das New-Work-Konzept gar nicht für die Pflegebranche?
Die Pflegebranche: systemrelevant und unterbesetzt
Das Gesundheitswesen im Allgemeinen und die Pflegebranche im Besonderen leiden seit Jahren unter Fachkräftemangel, der sich angesichts der demografischen Entwicklung noch verschärfen wird. Wie systemrelevant dieser Bereich ist, hat die Pandemie auf dramatische Weise beleuchtet. Umso wichtiger ist es, den Pflegeberuf an sich aufzuwerten, indem zeitgemäße Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Inwieweit New Work eine Rolle in der Pflege spielen kann, damit befasst sich das vom Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW in Leipzig erarbeitete Working Paper »NEW WORK IN DER PFLEGE«.
Die Pflegebranche: schon vor der Pandemie ein Pflegefall
Mehr als 1,5 Millionen Pflegekräfte waren im Jahr 2018 in der Pflegebranche beschäftigt – das Working Paper konstatiert, dass dies weder aktuell noch in Zukunft ausreicht. Der Versorgungsbedarf wird sich noch vergrößern, da alleine die demographische Entwicklung dafür sorgen wird, dass die Anzahl der Alten in den nächsten Jahren weiter steigt: Erwartet wird ein Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen von 2,2 Millionen im Jahr 2010 auf 4,2 Millionen im Jahr 2050. Gleichzeitig reduziert sich die Anzahl der Pflegekräfte – das Problem liegt auf der Hand. Sich mit der Arbeitswelt Pflege konstruktiv auseinanderzusetzen und vor allem Innovationen in die Abwägungen mit einzubeziehen, ist dringend geboten. Und damit ist auch die Frage zu beantworten, ob und wie der New Work Ansatz in dieser Branche überhaupt greift.
Work in der Pflege – Stand heute
Die Aufgaben, die Pflegekräfte zu erfüllen haben, sind breit gefächert. Sie umfassen:
- die allgemeinen pflegerischen Versorgungsaufgaben
- medizinische Assistenzaufgaben
- logistische und technische Aufgaben
- Transport- und Reinigungsaufgaben
- Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben
Schon hier wird ersichtlich, dass die direkte Pflegearbeit an und mit den zu Pflegenden nur einen Bruchteil ausmacht. Diese Tatsache widerspricht den Beweggründen, aus denen Pflegekräfte ihren Beruf ergreifen: Sie wollen individuell pflegen, auf die Belange der Pflegebedürftigen eingehen und ausreichend kommunizieren – und das ohne Zeitdruck, ohne wirtschaftliche Interessen verfolgen und standardisierte Verfahren nutzen zu müssen. Nur dann, so der Anspruch der Pflegekräfte, lässt sich der eigene hohe Qualitätsanspruch erfüllen.
Pflege – eine Frage des Gewinns und des Wettbewerbs?
Doch das Gesundheitswesen hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich verändert: Die professionelle Unabhängigkeit der Pflegekräfte muss immer weiter weichen, der Fokus liegt zunehmend auf der Erwirtschaftung von Gewinnen – und das in einem sich verschärfenden Wettbewerb. Genau dieser wirtschaftliche Druck, dem sich auch Kliniken ausgesetzt sehen, lässt nicht nur die Arbeitsbelastung steigen, sondern oft genug die Berufsethik in den Hintergrund treten. Das Personal sieht sich mit ausufernden administrativen Aufgaben konfrontiert, die gleich in mehrfacher Hinsicht für Unzufriedenheit und damit einen Imageverlust für den Beruf sorgen:
- Arbeitsmodelle – Schichtdienste inklusive Wochenenden und Feiertagen sowie Bereitschaften
- Familie und Beruf kaum vereinbar
- vergleichsweise schlechte Bezahlung
- enorme Leistungen kaum wertgeschätzt
- Arbeitsaufgaben und -zeit verdichten sich
- starre Hierarchien und überholter Führungsstil
- kaum Entwicklungsmöglichkeiten
- drohende Überlastung – physisch, emotional, psychisch
Es lässt sich also festhalten: Die Arbeitsbedingungen haben sich sukzessive verschlechtert, der Pflegeruf ist unattraktiver geworden und es wollen immer weniger Menschen in der Pflegebranche arbeiten.
Das New Work Konzept: mehr als die Digitalisierung der Arbeitswelt
Parallel zu den beschriebenen Entwicklungen in der Pflegebranche etabliert sich New Work als neues Konzept, das Menschen ein größeres Maß an Selbstverwirklichung und Potenzialentfaltung einräumt. Die Beschränkung auf die Digitalisierung ist zu kurz gegriffen, New Work umschreibt vielmehr eine grundlegende Transformation, die sowohl das Arbeiten selbst als auch Arbeitsorganisation und Unternehmensführung umfasst. Es geht also einerseits um den Arbeitsplatz, der sowohl zeitlich als auch örtlich flexibler gestaltet wird, andererseits aber auch um eine neue Qualität der Zusammenarbeit, um Autonomie und Sinnstiftung und letztendlich auch um Beteiligung. Daraus folgen neue Anforderungen an Führungsqualitäten und -strukturen, denn die oft genug starren Hierarchien können dem Anspruch auf ein coachendes, unterstützendes und laterales Verständnis von Führung nicht mehr genügen.
New Work – was ist das genau?
Der Begriff ist bereits in den 1970ern geprägt worden: Frithjof Bergmann kam in seinen philosophischen Arbeiten zu dem Schluss, dass die Arbeit, die Menschen wirklich wollen, vor allem von Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe geprägt seien – und das in einem hohen Maße. Mittlerweile wird der Begriff „New Work“ jedoch noch weiter gefasst, er beschreibt nämlich gleichzeitig die strukturellen und technologischen Veränderungen in der Arbeitswelt – und damit auch einen sozialen Wandel.
Unternehmen – und auch Kliniken sowie Einrichtungen der Altenpflege – stehen vor neuen Herausforderungen, wenn sie ihren Bedarf an qualifiziertem Personal angesichts des Fachkräftemangels und demografischen Wandels decken wollen. Sie sind aufgerufen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, die die Anforderungen des New Work Konzepts verinnerlichen und auf allen Ebenen erfüllen. Diese Anforderungen lassen sich in fünf Aspekte der Arbeit einteilen:
- Individualität
- Führung
- Sinnstiftung
- Flexibilität und Vergütung
- Technologie und Digitalisierung
Das Working Paper des IMW greift nun diese Diskussion auf und widmet sich der Frage: Lässt sich der New Work Ansatz auch in der Pflegebranche umsetzen – liegt hier vielleicht eine große Chance?
- Schichtpläne erstellen
- Schichtmodelle abbilden
- Mitarbeiter in die Planung integrieren
- Schichtplan automatisch befüllen
New Work in der Pflege – durchaus realisierbar
Das Working Paper zeigt zwar naturgemäß auf, dass sich nicht alle Aspekte des New Work Konzeptes in der Pflege realisieren lassen, sich aber durchaus positive Effekte ergeben. Letztendlich ähnelt die Pflege in dieser Frage der klassischen Wissensarbeit – wie anhand der fünf New Work Aspekte ausgeführt wird:
- Individualität
- Führung
- Sinnstiftung
- Flexibilität und Vergütung
- Technologie und Digitalisierung
- New Work in der Pflege: konkrete Handlungsempfehlungen
Hier geht es um Selbstbestimmung, Wertschätzung und Vertrauen – die Wissensarbeit basiert auf flexiblem Arbeiten, also zeit- und ortsabhängig, die den Einsatz von relevanten Tools sinnvoll machen. Ebenso kann die Pflege vorgehen, indem sie Dienstpläne mit einem intelligenten Schichtplaner flexibler gestaltet und Verantwortung an die Pflegekräfte abgibt.
New Work heißt auch, das Personal in Entscheidungen mit einzubeziehen und die Hierarchien möglichst flach zu halten. Sowohl in der Wissens- als auch der Pflegearbeit lassen sich »Open Door«-Policies und selbstführende Organisationen umsetzen.
Darunter ist in Bezug auf die klassische Wissensarbeit in erster Linie Eigenverantwortung zu verstehen – und zwar in Bezug auf die Führung als auch die Arbeitszeiten. Für die Pflege ließen sich die Selbstbestimmung und eigenverantwortliche Arbeitszeiten sinnvoll mit der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit und einer intelligenten Zeiterfassung mit Leben erfüllen.
In der klassischen Wissensarbeit lässt sich dieses Kriterium mit flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Gleitzeit, Teilzeit- und Wiedereinstiegsmodellen, aber auch Offenheit für untypische Verläufe der Berufskarriere abbilden – und die Pflegeeinrichtungen sind dazu auch in der Lage.
Wenn die klassische Wissensarbeit auf die Nutzung moderner Tools zur Kollaboration und insgesamt eine moderne IT-Infrastruktur setzt, trifft dies auf die Arbeit im Pflegebereich ebenso zu.
Im Working Paper werden aus dieser Analyse einige Handlungsempfehlungen für Führung und Personalmanagement abgeleitet, die dem Fachkräftemangel durch eine Aufwertung der Arbeit in der Pflege entgegenwirken sollen:
- Feedbackkultur
- Weiterbildung und Akzeptanz
- Personalgespräche
- Analyse des realistischen Bedarfs
- Digitalisierung
Eine offene, respekt- und vertrauensvolle Zusammenarbeit wird durch konstruktive Feedbacks unterstützt. Ebenso wichtig sei es, für die Entwicklung und Erprobung von Ideen nicht nur physisch und zeitlich Raum zu schaffen, sondern auch eine zielführende Fehlertoleranz für selbstbestimmtes Arbeiten zu leben.
Ein solcher Wandel in der Arbeitswelt muss vom gesamten Unternehmen und den Kliniken getragen werden – und die Führung spielt hier die entscheidende Rolle: Sie braucht das notwendige Knowhow, um die Herausforderungen meistern und das enorme Potenzial effektiv ausschöpfen zu können. Essenziell wichtig ist es, das Personal nicht nur umfassend zu informieren, sondern intensiv mit einzubeziehen.
Insbesondere in der Pflege ist Motivation gefragt. Führungskräfte sollten sich daher regelmäßig dazu informieren, welche Anforderungen die aktuellen Arbeitsbedingungen mit sich bringen – und wie sie diese optimieren lassen.
Aus der Analyse eines typischen Arbeitstages können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, wie beispielsweise Arbeitsspitzen, die zur Überarbeitung von Schichtplänen oder Arbeitszeiten führen können. Auf diese Weise lässt sich ein flexiblerer Umgang mit den jeweiligen Bedürfnissen realisieren.
Werden die für viele Pflegekräfte lästigen Arbeiten zur Dokumentation und Verwaltung mit Hilfe intelligenter Tools automatisiert, bleibt mehr Zeit für die wichtige Arbeit an und mit den Pflegebedürftigen. Es gibt bereits zahlreiche intelligente Tools, die Unternehmen aller Größen effektiv unterstützen – wie zum Beispiel die Zeiterfassung für Kleinbetriebe.
Fazit: New Work in der Pflege – enormes Potenzial für systemrelevante Branche
Um sinngemäß mit der Bertelsmann Stiftung zu sprechen: New Work passt nicht zwangsläufig für jedes Individuum, für jedes Team oder jedes Unternehmen gleichermaßen. Es muss auch nicht alles anders gemacht werden oder neu sein. Vielmehr gilt es, die richtigen Stellschrauben zu identifizieren und zu nutzen, um nicht nur vorhandene Potenziale auszuschöpfen, sondern sich auch neue Ressourcen zu eröffnen. Mit dieser Einstellung lässt sich die Arbeit für die gesuchten Fachkräfte attraktiver machen – und damit der Pflegebereich zukunftsfähig aufstellen.
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